Das Gebot der Feindesliebe gilt auch in Zeiten des Krieges
Prof. Fernando Enns sprach vor vollem Haus
Vor über 80 Teilnehmenden im vollen Saal des Gemeindehauses an der Marktkirche begrüßte Pfarrer Tilmann Raithelhuber den Referenten Professor Dr. Fernando Enns zu dem Themenabend "Frieden
schaffen ohne Waffen?" Eingeladen hatten die Evangelische Kirchengemeinde Neuwied, die Katholische Gemeinde Neuwied St. Matthias, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Neuwied sowie der
Internationale Christliche Friedensdienst EIRENE.
Fernando Enns ist Professor in Amsterdam und Hamburg und seit langem beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf engagiert, seit kurzem auch in dem wichtigen Exekutivausschuss des ÖRK. Er kommt aus
der Tradition der Mennoniten, für die Kriegsdienstverweigerung eine Selbstverständlichkeit in der Nachfolge Jesu darstellt. Trotzdem lege er Wert auf das Fragezeichen bei dem Titel des Abends.
Angesichts des völkerrechtswidrigen russischen Angriffs habe das ukrainische Volk ein Recht auf Selbstverteidigung, aber als Christ stelle er sich die Frage, mit welchen Mitteln Christen sich
gegen Unrecht und Gewalt wehren sollen. Gilt das christliche Gebot der Nächstenliebe und der Feindesliebe nur in Friedenszeiten? Er zitierte den Satz: „Gewaltfrei sein nur in Friedenszeiten ist
wie Vegetarier sein nur zwischen den Mahlzeiten.“ Für die Gewaltfreiheit sprächen auch säkulare, nichtreligiöse Argumente. Es sei unrealistisch zu glauben, die Ukraine könnte die Atommacht
Russland besiegen und die Waffenlieferungen würden Frieden und Gerechtigkeit bringen.
Fernando Enns kritisierte die in den Medien weit verbreitete Feindbildargumentation. Aus seiner Arbeit im Ökumenischen Rat der Kirchen wisse er, wie unterschiedlich in anderen Regionen der Erde
dieser Krieg wahrgenommen werde. Er verwies z. B. auf den brasilianischen Präsidenten Lula, der sich jetzt gegen Waffenlieferungen und für Friedensverhandlungen und einen Waffenstillstand
einsetze. Im Ökumenischen Rat der Kirchen wurde auf der Vollversammlung in Karlsruhe im vergangenen Jahr der illegale und durch nichts zu rechtfertigende Krieg verurteilt, und zwar auch mit den
Stimmen der Delegierten der russisch-orthodoxen Kirche. Als diese in den Gremien einmal scharf kritisiert wurden, habe ihn deren Reaktion betroffen gemacht: „Wisst ihr eigentlich, wie schwer es
für uns ist, hier zu sein?“
In der Diskussion nach dem Vortrag wurden kontroverse Standpunkte deutlich. Den Vorwurf, sein Standpunkt sei naiv, griff Fernando Enns auf. "Wir müssen über solche Meinungsunterschiede reden." Er
spreche aus den Erfahrungen mit anderen Kriegen: Mit ganz ähnlichen Argumenten habe der Westen in Afghanistan den Kriegseinsatz zwanzig Jahre lang befürwortet und wir sähen jetzt, was dabei
herausgekommen ist.
Einzelne Zuhörer fragten, wie die Auseinandersetzung zu diesen Friedensfragen fortgeführt werden könnten. Der Moderator Josef Freise verwies auf eine Veranstaltung der KreisVolkshochschule
Neuwied am 31. März und am 1. April im Mehrgenerationenhaus Neustadt (Wied) zum Thema: Wie gewaltfreie zivile Verteidigung die militärische Verteidigung zunehmend ersetzen und langfristig ablösen
könnte. Petra Schunkert von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen sprach zum Abschluss ein Friedensgebet und den christlichen Segen.